Esther Löhr (40 Jahre) ist seit 2018 Gleichstellungsbeauftragte für den Betrieb Bonn bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH. Im Interview sprachen wir mit ihr über gendergerechte Sprache und darüber, warum es wichtig ist, sich als Gleichstellungsbeauftragte zu engagieren.
Frau Löhr, was hat Sie persönlich dazu motiviert, Gleichstellungsbeauftragte zu werden, und warum ist es aus Ihrer Sicht so wichtig, sich in diesem Amt zu engagieren?
Esther Löhr: Meine persönliche Motivation war die Beschäftigung mit und das Wissen um vorhandene Diskriminierungen von Frauen, die aufgrund von veralteten Regelungen und Vorstellungen in den Köpfen der Menschen immer noch existieren. Wenn wir Frauen uns nicht dagegen einsetzen, werden sie nicht von allein verschwinden. Oder anders gesagt: „Bad things happen if good people do nothing“.
Ein schönes Motto. Glauben Sie denn, dass sich Männer ebenso gut für die Gleichstellung der Geschlechter einsetzen können wie Frauen?
Natürlich, Männer können sich hervorragend für die Gleichstellung einsetzen. Einerseits als Unterstützer oder Verbündete der Ziele der Gleichstellung: So können sie beispielsweise als Führungskraft gezielt weibliche Nachwuchskräfte fördern. Anderseits als selbst proaktiv Handelnde, z. B. indem sie überall da, wo in Männerrunden sexistische Witze gerissen werden, einfach mal nicht mitlachen und einen scharfen Widerspruch äußern. Und sie profitieren ja davon. Wenn auch Männer sich nicht mehr den für sie vorgesehenen gesellschaftlichen Normen unterwerfen müssen, beispielsweise keine „fußballspielenden und biertrinkenden Grill- und Baumarktprofis“ sein müssen, öffnen sich auch für sie neue Welten. So können sie als Väter ihre Kinder beim Aufwachsen von der Geburt an begleiten, sie dürfen Emotionen zeigen und darüber sprechen. All das erfordert, dass sich Männer und Frauen gemeinsam für die Gleichstellung der Geschlechter einsetzen.
Mit welchen Aufgaben befassen Sie sich als Gleichstellungsbeauftragte bei der GIZ GmbH?
Bei der GIZ sind wir drei Gleichstellungsbeauftragte: Jeweils eine pro Betrieb, also für Eschborn (auch unternehmensweit zuständig), Bonn und Berlin. Gemeinsam und mit unseren Mitarbeiterinnen sind wir ein starkes Team. Die Aufgaben als Gleichstellungsbeauftragte bei der GIZ sind vielfältig: Einerseits arbeiten wir gemeinsam mit dem Betriebsrat und der Arbeitgeberseite an Regeln und Personalprozessen. Anderer- seits sind es auch die klassischen Aufgaben rund um die Begleitung von Bewerbungsprozessen, von der Beratung der Führungskraft bis hin zu Einzelberatungen der Kolleg*innen. Auch individuelle Fragen, z. B. zu Schwangerschaft und Elternzeit, sind häufig Thema der Beratungen. Und zuletzt entwickelt sich immer mehr das Halten von Impulsvorträgen zu einer Aufgabe, neben der Organisation von Veranstaltungen mit externen Referent*innen.
Profitieren eigentlich auch Männer von der Arbeit der Gleichstellungsbeauftragten?
Wenn man daran glaubt – und das tue ich –, dass vor allem divers zusammengesetzte Teams erfolgreich sind, dann profitieren Männer auch von der Arbeit der Gleichstellungsbeauftragten, ja. Vielleicht erscheint es vielen Männern zunächst so, dass Gleichstellungsbeauftragte vor allem dafür sorgen, dass Frauen bevorzugt werden. Aber das ist recht kurzsichtig. Gleichstellungsbeauftragte leisten Sensibilisierungsarbeit hinsichtlich potenzieller Diskriminierungen, hinterfragen althergebrachte Karrieresysteme und rütteln letztlich auch am typischen Bild einer Führungskraft, wie es heute vielfach noch – vor allem in den Köpfen – existiert. Davon profitieren all diejenigen Männer, die ebenfalls nicht mehr dem Bild der „allzeitpräsenten, allwissenden, alten, weißen Führungskraft“ (Achtung, zugespitzt!) entsprechen (wollen), sondern sich lieber denjenigen zuordnen möchten, die auch in Teilzeit führen, die ggf. sogar mal ein Jahr Elternzeit nehmen und die gern mit bunt zusammengesetzten Teams arbeiten.
Das Unternehmen Deloitte (ein Dienstleistungsunternehmen in der Wirtschaftsprüfungsbranche) hat anlässlich des Weltfrauentags 2022 eine Umfrage zum Thema Gleichstellung durchgeführt. Dabei kam heraus, dass die Bedeutung des Themas im Vergleich zum Vorjahr in Unternehmen gesunken ist. Haben Sie den gleichen Eindruck in der GIZ?
In den letzten Jahren rückt zunehmend der Begriff Diversität in den Vordergrund, auch in der GIZ. Dies ist jedoch eine gute Entwicklung, denn sie ruft dazu auf, den Begriff Gleichstellung intersektionaler zu denken, also auch zusammen mit anderen Diskriminierungsformen, wie beispielsweise Rassismus. Für die Gleichstellung hat die GIZ dabei fest verankerte Strukturen. Hier lassen sich insbesondere 3 Gleichstellungsbeauftragte, ein ganzes Netzwerk von Gender Focal Points, eine Betriebsvereinbarung und Unternehmens-Policies zu diesem Thema nennen.
Ein großes Streitthema, wenn es um Gleichstellung geht, ist die Frage nach der Verwendung von Sonderzeichen in der Schriftsprache, um alle Geschlechter mit einzubeziehen. Wie gehen Sie damit in der GIZ um?
Gendersensible Sprache ist richtig und wichtig. Es reicht nicht, konsequent die männliche Form in allen Anreden und Formulierungen zu nutzen und davon auszugehen, dass sich alle Menschen mitgemeint fühlen. Wir leben in einer Gesellschaft, die Männern strukturell viele Vorteile einräumt und unbewusst bevorzugt. Wir als GIZ arbeiten stetig daran, einer Gleichstellung der Geschlechter näher zu kommen. Gendersensible Sprache ist ein Schritt in diese Richtung. In ihren externen und internen Publikationen nutzt die GIZ gendersensible Schreibweisen. Je nach Publikation verwendet sie verschiedene Formulierungen: das Gendersternchen, neutrale Begriffe (z. B. „Teilnehmende“ oder „die Gruppe“ statt „die Teilnehmer“) oder männliche und weibliche Schreibweisen („Teilnehmerinnen und Teilnehmer“).
Glauben Sie, dass durch die alleinige Verwendung des generischen Maskulinums Geschlechterstereotype verfestigt werden?
Ich glaube daran, dass Sprache Bewusstsein schafft – von daher, ja. Wenn wir etwas nicht aussprechen, denken wir auch nicht so explizit daran.
Gegner der gendersensiblen Sprache gehen teilweise so weit, dass sie von einer Vergewaltigung der Sprache reden. Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie so etwas lesen? Daran anknüpfend: Glauben Sie, dass sich gendersensible Sprache auf Dauer durchsetzen wird?
Wenn ich so etwas lese, geht mir durch den Kopf: Wie schwer sich Menschen doch mit Veränderung tun. Vielen Menschen ist es wichtiger, dass alles beim Alten bleibt, dass sie nichts verändern müssen, dass sie ja nichts nervt, als dass sie sich bewegen in Richtung einer Sprache, die alle Menschen einschließt und sie nicht nur „mitmeint“. Vielleicht wird sich gendersensible Sprache durchsetzen können, wenn die Menschen damit aufwachsen und es nicht im Alter erst erlernen müssen – so war es ja auch bei der Rechtschreibreform.
Erhalten Sie oft negative Reaktionen, wenn Sie gendersensible Sprache verwenden, oder gehört dies in Ihrem Unternehmen schon zur Normalität?
Bei uns gehört die gendersensible Sprache schon sehr zur Normalität und ich habe auf gendersensible Sprache tatsächlich noch nie eine negative Reaktion erhalten – zumindest nicht persönlich.
Neben der gendersensiblen Schriftsprache: Was tut die GIZ noch, um sich für die Gleichstellung von Männern und Frauen einzusetzen?
Die GIZ engagiert sich sehr für die Gleichstellung: Wir haben flexible Arbeitszeiten und Regelungen zum mobilen Arbeiten. Wir haben viele Möglichkeiten zur eigenen Personalentwicklung: z. B. ein spezielles Training für Frauen: „Empowering women for leadership“, sogar in Teilzeit. Coaching, kollegiale Beratungsgruppen und Hospitationen sind ebenfalls möglich. Und letztes Jahr haben wir den Entgeltgleichheitscheck der Antidiskriminierungsstelle durchgeführt und uns damit einen Überblick über die Geschlechtergerechtigkeit unseres Gehaltssystems verschafft.
Weiterhin haben wir zahlreiche Teilzeitmodelle, auch in geringeren Prozenten, und Regelungen beispielsweise für die Kostenübernahme für Kinderbetreuung. Es laufen Pilotprojekte zu Mentoring-Programmen und Co-Leadership-Modellen. Und schließlich lassen wir uns schon seit Jahren vom Audit „Beruf und Familie“ zertifizieren. Aber natürlich gibt es auch bei uns noch das eine oder andere zu tun.
Seit 2021 wird das Familienministerium von Mitgliedern der Partei Bündnis 90/Die Grünen geführt. Hat sich dies in Ihrer Arbeit als Gleichstellungsbeauftragte bemerkbar gemacht?
Nein, bisher noch nicht.
Was glauben Sie, sind die dringendsten Anliegen, die die Bundesregierung beim Thema Gleichstellung angehen müsste?
Aus meiner persönlichen Sicht gibt es 4 dringende Themen:
1. Wir brauchen eine neue Betrachtung von bezahlter und unbezahlter (Für-)Sorgearbeit. Frauen übernehmen dabei den Löwenanteil in der Gesellschaft. Das ist ein starkes Ungleichgewicht und hat negative Effekte auf die Lebensqualität, Gesundheit, das Gehalt und die Rente von Frauen.
2. Wir brauchen neue Standards für Arbeit und Lohn. Das der- zeitige Vollzeitmodell steht für viele Menschen gerade jüngerer Generationen einer ausgewogenen Work-Life-Balance entgegen. Andere Länder sind hier schon weiter und disku- tieren beispielsweise die 30-Stunden-Woche. Eltern würde dies unter anderem ein gleichberechtigteres Da-Sein für Kin- der ermöglichen. Lohnsysteme müssten noch transparenter sein und Menschen weniger stundenbezogen, sondern eher leistungsbezogen bezahlt werden. Auch hiervon würden Menschen profitieren, die aufgrund von Sorgearbeit nicht am Vollzeitmodell teilnehmen können.
3. Unsere Infrastruktur rund um Betreuung und Pflege ist ein Thema. Wenn Kitaplätze im U3-Bereich teuer und selten sind, wenn durch schlechte Bezahlung Erzieher*innen- und Pfleger*innen-Personalmangel herrscht, trägt dies mit dazu bei, dass wiederum vornehmlich die Frauen zu Hause bleiben.
4. Zuletzt und ganz besonders wichtig erscheint mir eine Investition in die Bildung: Überkommene Rollenbilder finden sich in Kinder- und Schulbüchern, in Film und Fernsehen, auf Plakaten im öffentlichen Raum ebenso wie in manchen Parteibüchern. Um ihnen etwas entgegenzusetzen, brauchen wir Jungen und Mädchen, die ihre Rechte kennen, deshalb Chancen ergreifen und sich neue Rollenbilder einfallen las- sen, an und mit denen sie wachsen können.
Gibt es ein konkretes Projekt, das Sie in der GIZ zum Thema Gleichstellung durchgeführt haben und besonders gut funktioniert hat und von dem sich andere Gleichstellungsbeauftragte inspirieren lassen könnten?
Was für mich persönlich in meiner Arbeit besonders gut funktioniert, ist immer das direkte Gespräch mit den Kolleg*innen. Hierfür habe ich auch meine Veranstaltungsreihe, in der ich aktuelle Themen aufgreife und Referent*innen einlade. So bekomme ich die Bedürfnisse und Bedarfe der Belegschaft mit und kann zugleich für Gleichstellungsthemen sensibilisieren.
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